Tag 22 – Was Trauernde brauchen

Marie konnte sich noch gut an Roberts Beerdigung erinnern. Es kamen fast alle: Nachbarn, Freunde, Verwandte, Kollegen, Schulkameraden, Vereinsmitglieder… Über 400 Leute.

Wie schön wäre es gewesen, wenn die Trauergäste ihr schon beim Kondolieren oder spätestens beim Leichenschmaus angeboten hätten, sie zu besuchen oder zumindest mal anzurufen. Das hätte wunderbar getröstet.

Unmittelbar nach der Beerdigung erreichten sie noch einige Tage lang Trauerbriefe und ein paar Anrufe. Doch nach ein paar Wochen wurden die Mitleidsbekundungen immer weniger, bis dann so gut wie niemand mehr kam oder anrief. Jetzt wäre allerdings der richtige Zeitpunkt für einen Besuch oder ein Gespräch gewesen, dachte Marie.

So wäre das auch bei ihr gewesen, erzählte ihr erst gestern Frau Klein, eine Nachbarin. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes die gleichen Erfahrungen gemacht. Jetzt nach einem Jahr Trauer, kümmert sich niemand mehr um sie.

Vorbeikommen oder anrufen kann nicht jeder, beruhigte sie Marie, viele wissen schlicht nicht, wie und was sie zu dem Geschehenen sagen sollen. Wir wissen ja alle, wie schnell uns der Alltag einholt. Aber das ist doch ganz leicht, sagte Frau Klein, einfach da sei, zuhören und in den Arm nehmen. Das reicht oft schon und hilft den Trauernden.

Manchmal, meinte Marie, wollen die betroffenen Menschen keinen Besuch. Vielleicht befürchten sie, keine gute Gesellschaft zu sein oder andere zu stören. Genau deshalb, sagte Frau Klein, würde sie sich zunächst über eine Ablehnung hinwegsetzen. Einfach vorbeischauen und für den Trauernden da sein. Dann wird man sehen.